Samstag, 29. April 2017

Brief an Y


                
Liebe Y,
eben habe ich vor lauter Aufregung völlig vergessen, Dir von meinem heutigen Erlebnis zu erzählen. Ich werde dieses Abenteuer aufschreiben und Dir schicken, so dass Du es bei einem Gläschen Rotwein lesen kannst, sobald Du aus Madeira zurückgekehrt sein wirst.

Am Morgen fuhr ich also mit dem Rad los, um im Grenzwald nach dem Rechten zu sehen; Früher war hier alles ein riesiges Sumpfgebiet, die Menschen hausten in den Rodungen, die sie mühevoll dem Wald abgerungen hatten.

Tief im Brachter Wald gibt es eine alte verwunschene Stelle, um die sich folgende Legende rankt, mit der wir Kinder hier aufgewachsen sind: Dort soll sich in alten Tagen das Gut Amersloh befunden haben. Als vor hunderten von Jahren brandschatzende Söldnertruppen vorüber zogen, schafften es die Bewohner, eine Truhe mit ihrem vollständigen Besitze, Golddukaten, Schmuck, und ihrer Hausbibel, irgendwo dort hinten zu vergraben, bevor die Mörder alle töteten, und das Gebäude nieder brannten.
Danach wurde dort, so abgelegen im finsteren Wald, nicht mehr gesiedelt, die Mauern dienten als gelegentlicher Steinbruch dies- und jenseits der Grenze.
In späteren Zeiten ließen die Umwälzungen der Tonindustrie und immer wieder durch Kriege die Erinnerung an das Gut Amersloh verblassen, und im kollektiven Gedächtnis der Menschen verschwomm alles zu einem Geschichtsbrei.
Heute ist nicht mehr ein einziger Stein an dieser Stelle zu finden, alles ist von Gestrüpp überwuchert, eine zerklüftete Gegend, nahe der alten römischen Strasse.
Doch das Volk erzählt sich Geschichten vom versunkenen Schloss, und einer weißen Rose, die dort alle Jahre zu Pfingsten erblüht, und zwar an –richtig- ebenjener Stelle, wo der Schatz vergraben liegt, und darauf wartet, von einem wackeren Helden, der sich hierhin traut, gehoben zu werden.

Dorthin also fuhr ich.
Ich tauchte ein in den dichten Wald, schummriges Grün umgab mich, und es duftete nach Moos und Feuchtigkeit. Keine Sonne schien.
Ein Kuckuck begrüßte mich, auch Rehe und Wildschweine waren neugierig, wer da ihr verwunschenes Reich besuche.

Die geheimnisvolle Stelle kannte ich nur ungefähr aus alten Karten, die ich mir vorher besorgt hatte. Ich parkte meinen Drahtesel, und irrte zu Fuß durchs Dickicht. Zum Glück traf ich einen seltsamen Waldarbeiter, der dort Holz schichtete. Der wusste prompt von der Sage, hilfsbereit und mit Sicherheit auch selber neugierig ging er sofort mit mir.
Mit seinem Beil zerschlug er die Brombeerranken, zu zweit irrten wir nun durch den Wald, nur umgeben von der Sinfonie der wilden Vögel, die uns ein freudiges Willkommensständchen pfiffen, sowie seltsamen, undefinierbaren Urtönen aus der Tiefe der Erde, die mein Begleiter allerdings wohl nicht vernahm; jedenfalls konnte ich ihm das in keiner Weise anmerken. Oder er war an diese Geräuschkulisse gewöhnt, da er sich ihr täglich auslieferte.
In diesem Moment, wo ich diese Zeilen schreibe, kann ich immer noch nicht sagen, nach überstandenem Schrecken, woher diese unheimlichen Geräusche drangen. Sie klangen, als ob von unter der Erde riesige Schaufelradbagger sich langsam, aber kraftvoll gegen das Licht fortgruben.

Knacken im Unterholz. Ab und an blitzte im Schatten ein fremdes Augenpaar auf, von irgendwelchen scheuen Tieren.
Oder verwunschenen Gestalten?
Gnome? Hexen? Meine Phantasie malte mir ein lebhaftes Bild einer gewaltigen Gegenwelt, die uns Menschen gemeinhin verschlossen blieb, aber soeben durch puren Zufall enthüllt worden sei.
Wir kämpften uns gemeinsam immer weiter einen Weg frei, bis wir – nenne uns Helden der Orientierung, aber lache nicht dabei! – irgendwann wieder am Traktor des Waldarbeiters ankamen, völlig zerfetzte Hosenbeine, voller Dornen und Zecken, und ein paar böseartige Hautabschürfungen.

Irgendwie wollte der Mann an meiner Seite es jetzt aber erst recht und ganz genau wissen.
Zufällig – oder wie vom Himmel eingegeben? – fiel uns zeitgleich Toto ein, ein offenbares Original, das jeder in der Gegend kannte: Der war so eine Art Waldschrat, von Aussehen eine lebende Leiche, blasse Haut, lange, wirre Haare, harte Drogen,...aber stets freundlich zu jedermann und –frau.
In seiner selbst gezimmerten Hütte hauste er am Waldesrand.
Wir tuckerten also zu ihm.
 Weißt Du, Toto streunerte Tag und Nacht durch den Wald, bald diesseits der Grenze, bald drüben, um den vielen Jägern Fallen zu stellen. Er war nämlich der Meinung, daß es Unrecht sei, sich vom Fleisch der Tiere, seiner Freunde, zu ernähren – das sei Leichenschändung und Aas.
Dabei wendete er niemals Gewalt an, sondern bescherte den Grünröcken unvergessliche Erlebnisse, indem er sie an der Nase herumführte, oder legendäre Streiche spielte, wie zum Beispiel, als er einem eingenicktem Kameraden auf dem Hochsitz vorsichtig und unnahbar Kuhdung unter die Röcke schmierte.
Man munkelte, er ernähre sich von Birkenrinde, Pilzen, und Regenwasser, was die Natur ihm anbiete.

Toto fragten wir also, ob er die Stelle kenne, wo einst, in alten Tagen, das Gut Amersloh existiert habe, Karl-Heinz, wie sich der Waldarbeiter mir inzwischen vorgestellt hatte, und ich.

„Klar. Für 5 Euro und ein paar Kartoffeln zeige ich Euch das.“

Zu dritt tuckerten wir über holprige Waldwege zurück, bis an einer gewissen Stelle eine Art Schlucht rechts vom Weg abging.
Dort stand eine uralte Buche, und zwar eine der Sorte, die wir als Kinder „Knochenbäume“ nannten.
Toto klopfte Karl-Heinz auf die Schulter: „Hier!“-

Diese Schlucht aber war durchsetzt von Tümpeln und Morast; Karl-Heinz, den ich bisher eigentlich als sehr selbstsicher und gewandt erlebt hatte, stolperte, und fiel prompt in eines dieser dunklen Mäuler.
Mit einem Bein sank er fast bis zum Gesäß ein, aber ich konnte ihn herausziehen, ein schmatzendes „Flop“ erzeugend.
Allerdings – einer seiner modischen Gummistiefel blieb leider dort unten stecken.
Mit Ästen stocherten wir im Schlamm, aber der Stiefel ward nicht mehr gesehen.
Verschwunden wie das Schloss, aufgesogen vom Schlund der Erde.

Nun gut, dem Armen blieb nichts anderes übrig, als einfüssig barfuss weiterzuhumpeln.
Toto erwies sich als erstaunlich zäh, obwohl er so abgemagert aussah.
Wir mussten indessen über einen überdimensionalen umgestürzten Baum klettern, der wie eine Schranke diese Schlucht quer absperrte – als ob an dieser Stelle ein neues Königreich beginne.

Dann blieb Karl-Heinz, der alte Pechvogel, mit seinem Beil auch noch irgendwo hängen, und auch das Beil haben wir merkwürdigerweise nicht wieder gefunden, obwohl wir zu dritt alles ringsum ordentlich abgesucht haben.
Nun gut.
Ich schlucke noch jetzt, wo ich das schreibe.

Diese enge Schlucht führte krumm und gewunden immer weiter geradeaus.
Karl-Heinz fluchte ganz leise.
Ich blutete, seit ich auf einem moosbewachsenen Stein ausgerutscht war.
Dabei brach unerklärlicherweise sogar der Stein durch.
Darunter begraben offenbarte sich uns das Skelett eines Tieres in der Größe eines Dachses mit 2 (!) Köpfen.
Wieso 2 Schädel, aber nur ein Körper?
Warum wohl und wie mögen die armen Tiere vom Stein erschlagen und begraben worden sein?
Hat vielleicht ein Mensch das Tier in abgesonderten Riten beerdigt?
Wenn ja, wann, und warum?
Das Abenteuer in dieser Abgeschiedenheit schien bedrohlich zu werden...

Jedenfalls waren wir alle 3 sehr sicher, dass hier, an dieser Stelle, seit dieser Beerdigung kein Mensch mehr gewesen sein konnte.
Keine erkennbare Spur von irgendwem, alles verwildert, überwuchert, durchwachsen.

Nun, um es kurz zu machen:
Wir waren danach noch mehrere Stunden unterwegs, nunmehr etwas angekratzte Helden auf Schatzsuche.
Zumindest wollten wir ja irgendeine Spur vom versunkenen Gut Amersloh finden.
Mehrmals passierten seltsame Dinge, Toto krachte in ein Loch, das von Laub bedeckt war, und blutete nun ebenfalls, aber so richtig schwerwiegend, weil ein spitzer Ast sich in seine Wade gebohrt hatte.
Karl-Heinz und ich leisteten so gut wie irgend möglich Erste Hilfe, aber definitiv konnte Toto nicht mehr eigenständig laufen.
Karl-Heinz war spürbar aufgeregt. Er atmete jetzt viel schneller als vorher.
Später spuckte Toto dann noch Blut, was aber meiner Meinung nach weniger an der Wunde lag, denn an irgendwelchen inneren Verletzungen.
Ich versuchte irgendwie, beide zu beruhigen.
Toto wurde apathisch, zu viel Blutverlust.
Karl-Heinz stöhnte und japste verzweifelt nach Luft, Schweißperlen auf der Stirn, und tätschelte dennoch die ganze Zeit an Toto herum.

Was tun?

Toto wurde rapide schwächer und röchelte nach einer Weile nur noch, die Augen nach innen verdreht.
Schließlich sagte ich zu Karl-Heinz, er solle mein Hemd in Streifen reißen, im Wasser anfeuchten, und damit dessen Stirn abtupfen, da er inzwischen auch noch vor Fieber glühte – Hauptsache reden, um ihn irgendwie Am Leben zu erhalten.

Mit heldenhaft-lächerlich nacktem Oberkörper rannte ich so schnell wie möglich querfeldein durch den Busch, ohne Schmerz.
Schnell.
Nur schnell zum Fahrrad, Hilfe holen.
Meilenweit keine Menschenseele, nur der sterbende Toto, und Karl-Heinz. In Luftrichtung, immer der Nase und dem Wind nach.

Ich erinnere mich an eine urplötzliche Totenstille im Wald, kein Vogel, kein Tier, keine Seele, kein Niemand. Beiläufig nahm ich diese absolute Ruhe als Stillstand der Zeit wahr.

Irgendwo blieb ich mit dem linken Fuß an einer Wurzel hängen, und fiel selber der Länge nach hin.
Ich schaute auf, und sah – unglaublich! – eine einzelne unschuldige Pfingstrose.

Dort war so eine Art Lichtung, Licht drang dort zwar hin, aber es herrschte eine ganz seltsame Stimmung, ein ganz diffuses Licht, orange, hellgelb, weiß, und rot – feuerfarben; dieser betörende Rosenduft passte schier überhaupt nicht zum feuchten Ambiente.

Einen Moment blieb ich erschöpft dort liegen, als ich mit einer Hand mich zu orientieren suchte, und beim Tasten und blinden Wühlen etwas Rostiges fühlte:
Halb versunken eine kleine, mit Eisen besetzte Holzschatulle.
Ausgerechnet! Die beiden anderen Genossen im Wald dem Ende womöglich recht nah...ein verhängnisvoller Tag...Unglaubwürdig, wirst Du wohl denken...

Zitternd öffnete ich die Truhe: Dort drinnen lagen schockierend ausgebleichte Knochen.

Knochen von dem Bären, den ich Dir gerade aufgebunden habe.

In diesem Sinne sendet Dir herzliche Grüsse

Dein X

Freitag, 28. April 2017

Schafe, Wölfe, Vögel

Neulich ermahnte mich jemand, ich solle mich in die Gesellschaft einfügen.
Doch alles, was ich um mich sehe, sind kleine Herden blökender Schafe, fehl geleitet von Wölfen im Schafspelz, die kümmerlichen Krümel abgeleckt von Aasgeiern.

Alles, das ich um mich herum wahr nehme, ist Absurdes Theater, keine menschliche Gesellschaft.

Die Vögel in den Lüften wissen das vielleicht eher zu beurteilen.

Mittwoch, 26. April 2017

Nachhaltigkeit

Der Weg des Lebens und des Menschen im Universum ist eindeutig und vorherbestimmt; der Wert des Lebens und die Würde des Menschen sind unantastbar.

Doch wie weit sind wir von wahrem Sinn und zu-frieden-stellender Erfüllung entfernt!

Billigware ist in Wahrheit sehr teuer; neueste Technologie ist in 2 Jahren hoffnungslos veraltet; Sollbruchstellen neu gekaufter Dinge brechen rein zufällig genau dann, wenn "das Neue" auf den Markt drängt.

Rasant und schwindelerregend würde ich unsere Zeiten nennen - an Ewigkeit und Nachhaltigkeit will Mensch offenbar nicht mehr denken.

Wo aber sollen wir uns fest halten?

Berliner Bilder 20

Lebenslinie

Sonntag, 23. April 2017

Meine Reise

Die geplante Tour wird sagenumworbene 5 Planeten in 7 Lichtjahren umfassen.
Hier habe ich eine kleine Skizze der Reise angefertigt:
Anders als gezeichnet, musste die tatsächliche Reise in 7 völlig unterschiedlichen Dimensionen bedacht und gedeutet werden.
5 Planeten in 4 ausgeklügelten Schritten wird das allgemeine Zeitreisen menschlicher Wahrnehmung ungemein verändern, es ist gar von einer Revolution des Reisens die Rede!

Die Reise beginnt in Kürze im Achtelplaneten Finkeli-Darbudiani im Tierkreisverkehrszeichen Ampel. Dort werde ich u.a. die berühmten Dur-Akkorde aus Stein besichtigen, die vor Undenkzeiten von Außerirdischen dort vermutlich zwecks Verehrung eingerichtet worden waren.

Nächste Station wird der noch viel ältere Tremolo-Planet Fakura-Dnemborstiana im Kreisverkehrsamt Hohenbrock sein: Neben billigem Käse werde ich dort die freundliche Atmosphäre schnuppern, um Aufzutanken - die ersten 2 1/2 Lichtjahre werden nun hinter mir liegen, sicherlich auch die gefahrvollsten mit ihrem Aufstieg in genickstarrende Breitengrade.

Als nächstes werde ich den etwas Bass-lastigen Riesenplaneten Doppel-A Anemnisosus ansteuern, wo ich mit eventuell anderen Ansässigen ausgiebigst das Tanzbein schwingen werde, und mich einmal locker Gehen lassen werde.

Sehr selten besucht, doch in jeder Hinsicht besuchenswert ist der Sternennebel Cefabcisfeb (Zeichenlose Ansammlung), der, nachdem er unendliche Äonen verboten war, erst seit kurzem neugierigen Beobachtern als Spiegelbild der Emotionen dient: Durch unvergleichliche chemisch-technische Reaktionen der Elemente werden sämtliche gedachten Gedanken in bunten Farben sichtbar - wahrlich ein Spektakel, dass wirkliches Denken nicht verdenkt!

Als letztes, gigantisches Ziel dieser Expedition habe ich mir das Echt Hohe 3-Gestirn im Tierkreiszeichen Hampelmann auserkoren: Was auf Cefabcisfeb noch in Farben visualisiert worden war, ertönt hier bekanntlich als bunter Akkord, indem sämtliche Gedanken in Untertöne und Schwingungen von den 3 Sternen dieses Systems auf den Denker zurück geleitet werden - sollte ich in Höchststimmung sein, erhoffe ich die Engel jubilieren zu hören! Was für ein erhebendes, unvergleichliches Gefühl!

Doch nach nunmehr 7 langen Lichtjahren wird der Fall zurück auf die Erde bald fällig werden, und ich kann bei der Rückkehr nur hoffen, auch wirklich den Herd auf Erden abgestellt zu haben.

Samstag, 22. April 2017

Westindisches in Ostindien - Eine Erinnerung ...

Louis Moreau Gottschalk ist einer meiner Lieblingskomponisten; in der Karibik bin ich höchstpersönlich seinen Fußstapfen gefolgt, und konnte dabei von ihm lernen, die Musik der Straße und das rastlose Reisen mit seinen unerdenklich vielen Ein-, Um-, Ab-, und Aussichten schätzen und lieben zu lernen, und mittels dieser reichen Erfahrungen mit allen zu Gebote stehenden Kunstgriffen eine eigene, persönliche Aussage zum Wert des Lebens zu treffen - immer im Dienste der Gerechtigkeit und im Namen der versteckten Schönheiten der Welt.
 zum Video
Das Lied, das diesem "Souvenir de Porto Rico" zugrunde liegt, ist der alte "Marche des Gibaros", ein traditionelles Weihnachtslied der umher ziehenden Bauern der Insel, die sich gegen Ungerechtigkeit und Hunger erheben - erst leise, doch unwiderstehlich mitreißend schwillt der Strom immer weiter an, gipfelt in ein paar Takten ausgelassenster Freude, bevor alles sich wieder in der Ferne verliert.

Wichtig in Kunst, Film, und Musik ist nicht wirklich und vor allem nicht nur die absolute technische, maschinenhafte Perfektion in der Reproduktion, sondern die totale, kompromisslose Hingabe; in diesem Sinne bitte ich von der spontanen Qualität dieser Aufnahme abzusehen, und einmal auf die neugierigen, verstohlenen Blicke der Kinder um das prächtige Klavier in der abgelegenen Wellblechhütte zu achten.

Freitag, 21. April 2017

Epithalam - Ein Hochzeitslied



(Einige verspätete Glückwunschworte für
Wilfried und Friederike)

...ich weiss, ich weiss, es ist inzwischen sehr viel-viel zu spät, um Euch zu Eurer Güldenen noch aktuell zu kondolieren ... äh ... glückbewünschen zu dürfen.

Ein unglaubliches Ereignis geschah mit mir, vor Schreckstarre wie gelähmt die ganze vergangene Zeit inne zu halten; erst jetzt gelangt mein Schreiben endlich zu Euch, völlig ausser der Zeit, samt meiner Wünsche des Glücks für Euch.---

Also, just an jenem Tage, da ihr Beide golden Euren Höchsten feiertet, begab es sich, dass ich an Eurem Glücke innerlich teilnehmend einige Zeilen des Bekundens verfassen und versenden wollte, sie auch bereits mit Tinte auf's Papier skizziert hatte, um mich in einer Schaffenspause mit diesem Skizzenblatte an die frische, eiseskalte Luft zu begeben, die an jenem Tage unsere Stadt durchwebte.

Hände und den Zettel in den Taschen vergraben, wollte ich eigentlich nur eine kurze Runde durch den vereisten Tiergarten wandern, um eventuell in einem versteckten Kaffeehaus ein paar frische Notizen dazu überdenken.

Es war ein bitterkalter Tag, doch nach etlichen Wochen des winterlichen Graudunkelseins schien zum ersten Mal im neuen Jahr die Sonne.

In Berlin mit seiner verrückten Menschenmasse hat so ein simples Naturereignis ungeahnte Folgen: Während wegen der frostig reinen Luft ungewohnt wenige Menschen den gefährlichen Spaziergang über die glatten Weiher und Wege des Grossen Tiergartens dick verpackt in Pelze, Mützen, Leder, und Mäntel wagten, und sogar einige wenig beeindruckbare, unerschrockene Jogger eher leichtfüssig beschuht ihre Freude daran zu haben schienen, über die blanken Eisflächen zu schliddern, wo ich selber vorsichtig genug jeden Tritt genauestens und sicher zu setzen versuchte, und doch einige Male ausrutschte - und war damit nicht der Einzige, der unsanft die Perspektive wechselte.

Ein anderer kam ungesund schnell mit seinem Fahr angeradelt, klingelte wie der Teufel, rief noch ungestüm "Platz da!" - und rutschte dann krachend in den Graben, wo wir ihm unverletzt die Hände in die eisige Wirklichkeit reichten, ihn wieder aufrichteten, den nun etwas Kleingeläuterten, der sein Rad zur Stütze schob, und seine Wege beschämt durch den Wald von dannen zog.

Auf einer verschneiten Lichtung sang und tanzte eine Gruppe junger Mädchen ihren frostigen Reigen, bestaunt von dazugehörigem staunenden Mannsvolk, die klatschten, und sich freuten.

Den Vogel schoss jedenfalls jener Geselle ab, der die ersten zaghaften Sonnenstrahlen irrtümlich als den lang ersehnten Hochsommer deutete, sich daher aller vermeintlich unnützen Pullover und Schals entledigt hatte, und so bestaunt wie bewundert tatsächlich ohne Furcht vor Frostbeulen sich in kurzen Hosen und leichter Bekleidung es wagte, sich der flanierenden Öffentlichkeit zu zeigen.
Zwar liess er sich sein Bibbern und Zittern aus Stolz und Überzeugung wohl nicht anmerken, doch ging er zielstrebig seinen Weg - wohl in Richtung seiner warmen Wohnung, um seinen Irrtum noch einmal zu überdenken.---

Vorsichtig und bedächtig vorwärts fühlend, ging ich weiter meine Runde, und passierte endlich jene Waldwiese, wo sich vor einigen Monden Obdachlose vieler Länder ihr Dorf aus Zelten, selbst gebastelten Vorratskammern, und roh gezimmerten Unterständen gegründet hatten.

In der gespenstischen Stille eines kalten Wintertages zeigte sich dort nur zaghaftes Treiben, einige Gaskocher und amtlich verbotene Feuerstellen (Grillen ist untersagt!) zeugten von unterkühlten, dick verpackten Menschen, deren Hände jenen Zaubertrank zubereiteten, der Seele und Körper und Geist verlorenes Leben einhauchte, und vor dem schändlichen Erfrieren bewahrte: Tee mit oder ohne "Schuss", handelsübliche Beutel, oder Blätter der kargen Büsche ringsumher bildeten Grundbestand der kargen Suppe.

Ich kreuzte die Siedlung, bemerkte unter einigen aufgespannten Plastikfolien und Pappe und Müll sich leise, zaghaft sich regendes Leben.
An einem kleinen Reisigfeuer starrte ein älterer Herr in die Flammen; zu genau ihm gesellte ich mich, grüsste, doch antwortete er nicht, keine noch so winzige Bewegung zeugte davon, dass er mich überhaupt bemerkte.
Jedenfalls rieb ich meine klammen Finger über den züngelnden Flammen, und liess mich dazu in die Hocke nieder.

Nachdem ich allerdings auf verschiedenen Sprachen vergebens versucht hatte, mich nach dem Wohlbefinden meines Gegenübers zu erkundigen, und dieser Herr sich schliesslich wortlos und blicklos sein Gebräu in eine Konservenbüchse füllte, schaute ich mich schliesslich nach anderen, vielleicht auskunftsfreudigeren Gesprächspartnern um.

Etwas abseits der meisten Zelte und selbst gebauten Verschläge stand ein herausragendes Zelt, aus braunem, festen Tuch, dass durch Höhe, Bauart, Stil, und Material die anderen Gebilde überragte.
Dorthin begab ich mich.
Da seine "Eingangstüren", oder besser: Vorhänge - lose flatterten, und einen Spalt ins Innere freiliessen, versuchte ich neugierig, aber mit allem gebotenen Respekt, einen Blick zu erhaschen, zumal niemand sonst im Lager sich für ein Gespräch empfänglich zeigte - klar, bei diesen Minus-Temperaturen hüllt und mümmelt sich jeder und jede in so viele Decken und Zeitungen und Moos wie möglich ein, um nicht zu erfrieren: Eine ernste Gefahr.

Ich erschrak, als aus der Jurte jemand rief: "Kukuk - Krächzkrak - Iaaa!", und mit diesem Kinderruf gleichsam die Luft vor mir zerteilte.

Als ich mich nun im Lager umschaute, war noch immer keine besondere Regung zu erkennen, aber es ertönte wieder der seltsame Ruf:
"Kukuk - Krächzkrak - Iaaa!"---

Mit einem Seufzer des Mutes schob ich den Vorhang zur Seite, um zu erkennen, ob das ein Kind sei, das da immer rief: "Kukuk - Krächzkrak - Iaaa!"

Vor dem Eingang war ein weiterer Vorhang gespannt, der so ähnlich aussah wie schwerer Brokat.
"Kukuk - Krächzkrak - Iaaa!"---
An diesem vorbei schob ich mich vorsichtig ins Innere, natürlich nicht, ohne meine Stiefel abgetreten zu ahben, wie es sich gehört.

Drinnen verschlang mich sofort eine diffuse Dämmerung; nachdem sich meine Augen daran gewöhnt hatten, staunte ich nicht schlecht: Eine Lagerstatt entlang der rechten Wand, einige schwere Decken und Teppiche, sauber gefaltet und hergerichtet; niemand schien dort zu ruhen.
Gegenüber des Eingangs erkannte ich eine prächtige Kommode; zwischen dem "Bett" und der Kommode war noch eine stabil wirkende Holztruhe eingepasst.
Auf der Truhe lächelte mich mit seiner frechen Fratze ein Totenschädel an; Puh!, dachte ich, und machte ich.
Nun schien es so, als schimmerte etwas aus den leeren Augenhöhlen, ein fahles Licht, dass sich im ansonsten geräumigen Zelt verbreitete.
Ja, es war einigermassen geräumig, zumindest etwas grösser, als es von Aussen überhaupt den Anschein gemacht hatte.

Es raschelte, und es klang wie das Rasseln einer Eisenkette, und ich sah auf einem ziemlich hohen Ständer oder Kletterbaum zu meiner Linken einen - Papagei! -, der sich dort oben über meinem Kopf unruhig regte, und seine Federn putzte.

"Krächzkrak, da bist Du!", rief er mir zu. Zuerst war ich erschrocken, aber nun war ich wirklich verwirrt; doch er sah mich mit geneigtem Köpfchen an, und wiederholte: "Krächzkrak, Du bist da!"

Ein sprechender Papagei! Mir wurde in diesem Moment bewusst, dass es in dieser Wohnung wohlig warm war, und ich lüftete meinen Wintermantel.
Ich war auf einen sprechenden Papagei hereingefallen!
Nun, da ich annahm, es gehöre sich so, grüsste ich ihn: "Hallo, gefiederter Freund!"

Er scharrte dabei beschäftigt mit seinen Krallen an der Kette, als wolle er sich davon befreien. Doch wieviel erstaunte ich, als er mich wieder grüsste: "Da bist Du! Ich habe Dich erwartet. Sei mein Gast, und mach es Dir bequem auf den Kissen", wobei er mit seinem Schnabel in Richtung des "Bettes" deutete.

Kaum hatte ich es mir bequem gemacht, denn ich war durchaus geneigt, dieses Abenteuer ein Weilchen mir zu Gemüte zu führen, schob jemand von Aussen den schweren Vorhang zur Seite. Es war derselbe Mann, der draussen so wortlos am Feuer gesessen hatte; ich sprang auf, doch bedeutete er mir mit einem freundlichen Wink, zu bleiben. Auf den flauschigen Teppich zu meinen Füssen legte er ein Holzbrett mit höchst unwirklichen Schnitzereien und Ornamenten, die ich in ihrer vielgestaltigen Kunst nicht annähernd mit Worten beschreiben könnte, so aussergewöhnlich waren sie in Form und Detail, so einladend, und so extrem beglückend beim genauen Betrachten.
Darauf stellte er eine dampfende Tasse seines Gebräus, und verliess uns so wortlos, wie er kam, nicht ohne den Ausgang sorgsam zu drapieren, damit kein kalter Hauch uns berühre, und unser Stelldichein störe.
Ich war also eindeutig Gast, und staunte über alle Massen, und roch an meinem Gebräu, welches verlockend nach frischen Kräutern roch und dampfte. Überhaupt wurde mir bewusst, wie angenehm es hier duftete - ein sinnlicher, nicht übertriebener Duft, den ich noch nirgends gerochen hatte, wenn ich so sagen darf (schliesslich bin ich weit umher gereist).
"Krächzkrak, Freund, fühle Dich wohl!"
Der angenehme, würzige Duft, die sanfte Dämmerung, und die wohlige Wärme halfen mir, ich atmete tief ein, und entspannte: Die Dinge sind, wie sie sind.---

Doch damit nicht genug des aller Wirklichkeit zum Trotz dem Fremden spottenden Spuks! - Während mein neuer, grüngelbrot gefiederter Freund sich fein geschäftig heraus putzte, und mich dabei an und ab mit einem flüchtigen Augenblick bedachte, erklang wie von Geisterhand gespielt eine kleine Laute, die ich bisher oben auf der Kommode gar nicht wahr genommen hatte. Die Laute erklang sehr leise, obwohl niemand zupfte, und doch meinte ich im Schatten ihre vibrierenden Saiten erkennen zu können.
Ich beugte mich über mein Getränk, während ich nochmals versuchte, die fremden geschnitzten Zeichen des Brettes in irgendein mir bekanntes Muster einzupassen, gab es aber vergebens nach einer Weile auf, und liess diese komplett unwirkliche Stimmung einfach wirken.
Die Töne konnte ich ebenfalls keiner mir bekannten Tonart zuordnen - und doch klangen sie so sehr vertraut und innig, dass ich meinte, sie irgendwo in fernen Kindheitstagen verorten zu können.

Ihre Melodiebögen schienen derweil unterstützt von einzelnen Harfentupfern, was ihre Wirkung ungemein entfachte; rings um mich jedoch konnte ich nirgends eine Harfe erspähen. Da der Klang sich wie die übrige Stimmung restlos und äusserst angenehm um mich herum verteilte, dachte ich schliesslich nicht weiter über ihren Ursprung nach.

Jedenfalls war die Tonart keiner der bekannten 72 Ragas des Melakarta entnommen, noch ein alter, arabischer Maquam, kein griechischer oder mozarabischer oder byzantinischer Kirchenton, noch eine deren mittelalterlichen Transpositionen, keine Pentatonik aus fernsten Urzeiten, keine Heptatonik, keine fernöstliche Weise, keine schamanistische Magie oder mir bekannten Ritus entnommen und entlehnt, nichts der Dinge, die ich lange, lange studiert hatte.

Auch der Rythmus war nicht einfach zu fassen, obwohl er eigentlich eingängig war, und doch so schwer zu bändigen: Er schien geradezu nach einem mir geistig überlegenen Modus oder höherem Zyklus zu verlaufen, und war doch nicht fremd, im Gegenteil: Puls und Atem und Herzschlag schlugen mit dem All in dieser Wirklichkeit Eins, und es erfüllte mich von Innen.
Ich schwieg noch eine Zeit, lauschte, während ich an meinem wunderbaren Tee nippte.---

Mit den verwelkenden Momenten füllte sich mein Herz mit erstarkendem Vertrauen, erst ungewohnt, man muss es zulassen, doch füllte es mich nach und nach mit solch berstender Zuversicht und Glauben und nimmer verzagender Energie aus, dass ich nicht anders konnte, als meinem neuen, grüngelbroten Freund meine darüber unbeschreibliche Freude mitzuteilen, da er ja offenbar nicht nur sprechen, sondern auch zu Denken vermochte.

Unglaublicherweise erriet er meine Gedanken, und nahm mir quasi die fehlenden Worte aus dem Mund: "Ich weiss, Du fühlst Dich wohl. So soll es sein, mein junger Menschenfreund.Denn gar selten verirrt sich ein Menschlein in unseren feinen Ort."

"Wie ... Woher ... Wer bist Du? Wer seid Ihr geheimnisvolles Volk?", stammelte ich verlegen.

"Hüte Deine Zunge, mein Menschenfreund, und stelle nicht so viele unnütze Fragen. Du befindest Dich an einem Ort der Weisheit und des Wissens. Wir sind Reisende, wir ziehen durch Zeit und Raum. Arm sind wir an Waren, doch reich an Wissen. Undenkbare Äonen beobachten wir die Welt und ihr Geschehen.
Hüte Deine Zunge, wähle Deine Worte wohl - denn Du bist geladen, eine Antwort auf eine Dich bedrückende Frage durch meinen Mund ..." - er räusperte sich - "... äh ... Schnabel zu erhalten."
Mit letzterem zupfte er sich abermals das Gefieder unter seinen Schwingen zurecht, indes ich glaubte, verstanden zu haben, um welche Wahrheit es hier ging.
"Ja, genau..." - wieder erriet er meine Gedanken, und schaute mich sehr ernst seitlich aus einem Auge an, dass, als ich seinem Blick begegnete, so uralt, unbeschreiblich alt erschien.---

Tja, eine Frage, die mich bedrückt hätte? Ich überlegte hin und her, während mein Freund auf seinen Füssen ebenfalls hin-und-her hampelte, wobei er mir wohl meinend riet: "Du hast Zeit."

Mir war angesichts dieser unwirklichen Zustände und Begegnungen bewusst, dass ich ehrlich sein sollte, und offenbar eine mich beschäftigende oder belästigende Sache auf ewig klären könnte.
Wann wird die Welt vergehen?
Wie lange wird die Menschheit noch sein?
Gibt es Leben nach dem Tode?
Gibt es einen Gott?
Oder wie wäre es mit den Lottozahlen der kommenden Woche?
Etliche anstrengende Fragen zogen vorüber; ich nahm sie mit meinem geistigen Auge an, betrachtete sie von allen Seiten, schob sie zur Seite, und zog weiter.

Plötzlich erinnerte ich mich an den Zettel in meiner Tasche, und den eigentlichen Grund meines Spazierganges, um meine Glückwunschworte noch einmal zu überdenken.
Mit ruhiger, aber entschlossener Stimme sprach ich meine Frage in den Raum: "Ist wahre Liebe das Geheimnis der Ewigkeit?"

"Wohl hast Du Deine Worte bedacht, Junge", lobte mich der bunte Vogel. "Lausche und merke meinen Spruch als Antwort Deiner Frage, die nicht nur Dich bewegt."

Es schien, als wolle er sich feierlich aufrichten, und der Situation eine besondere Bedeutung mit stolzer Haltung verleihen, während die Musik inzwischen verklang und verhallte.
Bange Momente erwartete ich gespannt die Antwort des Orakels, dem ich so unverhofft begegnet war.

"Nun denn, es kann losgehen, wir sind bereit", sprach er von sich und den Seinen, und er legte endlich los:
"Wie so manches vergeht,
 Wo wahre Liebe bleibt,
 über Irrungen und Wirrungen hinweg
 bis zum Ende aller Zeit.
Seelen sind über Urgründe hinweg ..." - - von draussen ertönte schrill und grell ein ohrenbeteubender Lärm, als würde ein UFO landen, und übertönte und zerstörte brutal die Rede meines Freundes, dann hob ein ebenso hysterisches, schrilles, grelles Lachen an, welches durch Mark und Bein drang, und durch ein Megaphon verzerrt war eine Frauenstimme zu vernehmen:
"Achtung! Hier spricht das Ordnungsamt! Dieses Lager wird geräumt! Sie haben 10 Minuten zur Räumung!"
Wieder lachte die Frauenstimme ihr widerliches Lachen, das auch ohne Verstärker alle Menschen guten Glaubens unzweifelhaft von der Schlechtigkeit der Welt überzeugen musste.

Der Papagei sprach nicht weiter, sondern flatterte aufgeregt die kurze Spanne umher, die die Kette ihm bot, wobei einzelne Federn umher schwirrten.

Ich winkte ihm dankbar zu, ermutigend, entschuldigend, wollte mich erkenntlich zeigen für sein "Geheimnis aller Geheimnisse", doch gelang es mir trotz mehrfacher Bemühungen nicht mehr, einen sinnlichen Kontakt zu dem grüngelbroten Wesen herzustellen - wo doch die Rede noch gar nicht beendet war!

"Kukuk - Krächzkrak - Iaaa!" widerholte er heiser immer wieder, und schien mich vor Aufregung nicht weiter zu beachten. Schande! Ich war doch so kurz davor, aus seinem Schnabel die Lösung aller Rätsel zu erlangen, sozusagen die Weltformel!---

Ich schob die Vorhänge am Ausgang beiseite, und trat gebeugt nach draussen, wo ich erst einmal von Sonnenstrahlen und eiskalter, klarer Luft geblendet wurde.

Vor mir auf dem dreckigen Schnee und fest getrampelten Eis und Erde erkannte ich schwere, schwarze Stiefel, dazu eine Uniform, eine Mütze, eine Person von Wichtigkeit - ein Polizist baute sich vor mir auf, und brüllte: "Po-Polizei" D-Die A-Ausweise ma bi-bidde!"
Ich kramte verlegen in meinen Taschen, konnte aber nur den Zettel mit den Grüssen finden. Diesen riss der Mann mir aus der Hand, und befahl: "Wa-Warten!", während er durch den Schneematsch zu einem Einsatzwagen schlurfte, wo er inmitten einer Menge Kollegen an einem Funkgerät hantierte.
Auf einmal war hier hektisches Treiben, überall sammelten sich unrasierte, hungernde Gestalten in Fetzen und zusammen geflickten Klamotten ihre Siebensachen, während die Tante vom Ordnungsamt, wohl die Einsatzleiterin, weiterhin ihr überflüssiges, schrilles, nervendes Lachen aufführte. Die Polizisten waren indes anscheinend damit beschäftigt, alle Personalien aufzunehmen, und die zahlenmässig überlegenen Ordnungsbeamten zerstörten mit finsteren Mienen die illegal errichteten Unterkünfte und Behausungen.

Noch während dieses alles geschah, trat der Popolizist wieder an mich heran, reichte mir den zerknüllten Zettel, und sprach: "A-Alles klar. Sind frei!"---

Was war das? Nach meinem Namen wurde gar nicht gefragt; auf dem Zettel standen nur meine gekritzelten Glückwunschworte. Was hatte er damit wohl über Funk ermittelt?
Ich wollte noch protestieren, denn es handelte sich hier um arme Menschen, und um ihre Wohnungen; Wohin sollten sie denn ziehen? Aber der Popolizist befahl nur verächtlich: "Und ab!"
Aus der braunen Jurte meinte ich wie aus einer fernen Welt den Papagei zu hören: "Krächzkrak - Iaaa!"
Ich verliess entmutigt dieses Durcheinander, und zog eilig zu meiner Wohnung. Dort sammelte sich ein riesiger Stapel Post und Briefe; auch bemerkte ich eine feine Staubschicht auf den von der Sonne liebkosten Fensterbänken. Die Blumen waren allesamt verwelkt und verloren. Wie konnte das geschehen sein?
Kalt war es inzwischen überhaupt nicht mehr.

Ich klopfte gegenüber bei meinen netten spanischen Nachbarinnen, doch es öffnete nach einer Weile eine unbekannte, zahnlose, nach billigem Fusel stinkende Alte, die, als sie irgendwann genervt die Türe ins Schloss warf, das selbe irre Lachen lachte, dass vorhin auch die Ordnungsamtstante so schrecklich aufgeführt hatte.
Es stellte sich heraus, dass in der braunen Jurte nicht nur die tatsächlich gefühlten Minuten und Stunden vergangen waren, sondern wahrlich Wochen und Monate, geheimnisvoll und mysteriös.
Für meine derart verspäteten Glückwunschworte entschuldige ich mich, und hoffe weiterhin auf Eure nächste Hochzeit in jüngst möglicher Gesundheit und ewig treuer Liebe.

Donnerstag, 20. April 2017

Geistreiche Gedanken und selbst die Gründung einer Schule machen noch keinen Philosophen.

Thoreau, Henry D.. Walden oder Leben in den Wäldern (German Edition)

Eine ernste Angelegenheit

Noch einmal und immer wieder muss ich feststellen, wie wenig Wert die Schätze meiner in langen Jahren zusammen getragenen Bibliothek in der Welt haben.

Wer kann sich kreativ nennen, und nicht den absoluten innerlichen Drang verspüren, nach solchen ungehobenen Schätzen über Stock und Stein zu fahnden?
Bei allem Verständnis für die angespannte Situation von Kunst und Kultur, besonders in den ehemals freien Randbereichen: Es ist abscheulich, wie wenig Wert wahre Kultur unter den Kulturschaffenden hat. Es ist erschreckend. Es ist entwürdigend.
Wer eine außergewöhnliche Sammlung noch nicht einmal geschenkt haben will, hat es nicht verdient, Forscher und Musiker genannt zu werden, sondern bleibt ewiger Reproduzent braver, vorgekauter Brocken, die er ausspeit wie Saures.
Wahre Kenner & Liebhaber scheuen keine Blicke um die Ecken und in die entlegensten Ecken.

Perlen vor die Säue! Schande komme über die Zunft!

Mir bleibt wohl nichts anderes, als die ganze Sammlung öffentlich auf einem Scheiterhaufen zu verbrennen - und damit symbolisch für mich und die mir Nahestehenden die Kultur beerdigen.







Mittwoch, 19. April 2017

Ein Brief an LeBödö



O Mann, Alter!

Diesen Morgen in aller Herrgottsfrühe, so um die Zeit zwischen 5 und 6 Uhr, wenn Anton in jungen Jahren Fussball zu Spielen pflegte, standen unerwartet Leute um mein Bett (kein Scherz!): Sind Sie Herr Ali Al-Hinai?-
Bevor ich richtig realisieren konnte, was los war, hatte ich längst Handschellen angelegt: Sie sind hiermit festgenommen! Sie können ..., Sie dürfen, ... Sie müssen ... Sie können mich auch mal, dachte ich, aber es war zu spät. Sehe ich denn eigentlich wie ein Ali aus?

Immerhin durfte ich mir eine Jacke anziehen, sass dann mit hinten gefesselten Händen im Bullenwagen; auf dem Weg zur Station (Abschnitt 13 - werde ich neimals vergessen, ist genauso schön wie Zelle 7 in Kaldenkirchen) wurde nicht gesprochen.
Angekommen, wurde ich gefragt, ob ich einen Dolmetscher benötige - verneinte ich.
Folglich wurden mir einige Fragen auf Englisch gestellt, unter anderem, ob ich denn Herr Ali Al-Hinai sei. Nein, zum Teufel nochmal!!-
Bisher hatte mich der vernehmende Beamte kaum eines richtigen Blickes gewürdigt, die Aufpasser um mich herum taten ohnehin so, als seien sie gar nicht da, und blieben das Verhör über stumm und unbeweglich, ihre Hände vor dem Körper zusammen gelegt.
Jedenfalls: Als ich aufbrausend wurde, weil ich nun einmal mit Bestimmtheit wusste, dass ich kein Ali bin, schaute der Beamte kurz zu mir auf, und machte sich Notizen. Immer noch auf Englisch (obwohl ich auf Deutsch protestiert hatte!) fragte er mich, ob ich mich ausweisen könne. Wieder antwortete ich auf Deutsch: Nein, schliesslich wurde ich im Bett fest genommen, ohne die Chance meine Personalien fest stellen zu können.
Das Spiel ging eine Zeit lang so weiter mit dummen Fragen; dieser Typ merkte offenbar nicht, dass ich auf Deutsch antwortete, und wollte nicht begreifen, dass ich kein Ali sei.
Die Aufpasser schauten derweil ins Leere.
Irgendwann, nach circa 15-20 Minuten, war der erste Akt vorüber, ich sollte auf dem Holzstuhl sitzen bleiben, 2 stumme Diener blieben zu meiner Bewachung; die ganze Zeit über hatte ich immer noch meine Hände in Fesseln, was mir die Blutzufuhr abschnitt.
Ich fragte die stummen Götzen, ob sie mir diese lockern könnten, weil meine Finger taub würden. Und ich wollte mich unverschämterweise erkundigen, wie ich dieses offenbare Missverständnis aufklären könne.
Meine Worte verhallten ungehört im Äther, aber irgendwann reichte es einem der Beiden, und "es" tat einen halben Schritt auf mich zu, während er mich in einem höchst seltsam knarzenden Tonfall anfuhr: Ihnen werden wir Manieren beibringen!- Das sind exakt dieselben Worte, die schon Hüpperling und andere mir einst, in alten Zeiten, die ich längst überstanden glaubte, beschieden hatten.-

Nach einer Weile kam der Befrager, dieses Mal in Begleitung einer Dame und eines Herren in Zivil, echte Kommissare. Die Dame setzte sich mir gegenüber, zupfte an ihrem Ausschnitt, ihre Lippen überrot geschminkt, eher lächerlich.
Der Herr stand mit den Götzen stumm hinter ihr, während sie loslegte, wieder auf Englisch.
What do You do in Germany?, begann sie eine Reihe von Fragen, Wohin, Woher, Was, Warum, Wo, und überhaupt: Wann denn eigentlich?
Mir wurde schwindlig.
Wie vorher antwortete ich mit meiner verschlafenen Stimme auf Deutsch: Es muss sich hier um ein tragisches Versehen handeln - ich bin nicht Ali Al-Hinai!
Als ich dies zu sprechen wagte, schrie sie mich zuerst an: Ich stelle hier die Fragen!!!, nahm einen Aschenbecher, und schmiss ihn krachend gegen die Wand, dass das billige Blech nur so schepperte ... Vermutlich sollte mich das einschüchtern. Der Herr in Zivil hinter ihr tat einen halben Schritt auf mich zu, und tat kurz die knappen Worte kund: Sie sind ein Verbrecher! - diese Worte allerdings dann doch tatsächlich auf Deutsch.
Die befragende Dame schaute kurz hinter sich, nickte den Aufpassern zu, und sie gingen hinaus, nicht ohne mich zu warnen, dieses Mal ebenfalls in Deutsch: Wir kommen wieder!-
Die Wartezeit mit den unbeweglichen Aufpassern wollte schier gar nicht mehr enden, denn diese Halbzeitspause dauerte ungleich länger; von Ferne hörte ich den Berliner Stadtverkehr, Rascheln, Knistern, Klopfen, und aus den tiefsten Verliessen meinte ich erstickte Schreie zu vernehmen.
Nach vielleicht einer Stunde kam ein neuer Mensch kurz herein, stellte sich forsch und stolz als "Kommissar Krubelhubel" vor (im Ernst! - ich musste mir ein Lachen verkneifen...), setzte sich aber gar nicht erst hin, sondern hielt ein Papier in Händen, worauf er starrte, während er mich auf Deutsch befragte: Sie gaben während der bisherigen Vernehmung an, nicht der gesuchte Herr Ali Al-Hinai zu sein. Wer sind Sie?
Immerhin, die scheinen mich zumindest verstanden zu haben.
Daniel Laumans mein Name, ihre Kollegen nahmen mich in meinem Bett fest, ohne mir zuzuhören, wollte ich protestieren.
Kommissar Krubelhubel stutzte kurz, schaute immer noch auf das Papier in seinen Händen, liess es kurz sinken, und ich erkannte, dass darauf nur 2 Worte standen: Daniel Laumans.
Die wussten meinen Namen also bereits! Woher? Was'n los?
Können Sie sich ausweisen, Herr Laumans?
Genervt antwortete ich: Dumpfbacke! Die Kollegen nahmen mich im Bett fest, ohne mir die Chance zum Ausweisen zu geben! Ich durfte nur meine Jacke anziehen, anderes wurde mir überhaupt nicht gewährt!
Ohne eine Erwiederung verliess er den Raum, schmiss die schwere Türe zu, dass es geradezu krachte, ein Echo in den unendlichen Fluren dieser geheimnisvollen Unterkunft.
Es dauerte wieder eine Weile, bis wieder die Dame von vorhin kam, den bescheuerten Lippenstift inzwischen weg gewischt, die Bluse sittsam zu geknöpft, und sie setzte sich wieder gegenüber, faltete die Hände über dem Tisch, wartete geheimnisvoll einige Augenblicke, räusperte sich endlich, und flötete in sanftesten Tönen:
Nun, Herr Laumans, ich entschuldige mich für dieses Versehen.
Das klang allerdings eher einstudiert, denn ehrlich.
Und so schlug die Tante nach: Sie hätten sich sofort den Kollegen erkenntlich zeigen müssen. Dann wäre das nicht passiert.
Wie jetzt - meint die damit, ich hätte denen Geld bieten sollen, oder meint sie damit meinen Namen ...?
Sie können jetzt gehen.-
Ich bat sie darum, ob die Kollegen mich zurück nach Hause fahren könnten.
Plötzlich sprang sie auf, schmiss dabei den Stuhl um, und fuhr mich an: Ja, glauben Sie denn, das ist ein Taxi-Unternehmen hier?! Ausserdem Steuergelder!
Sie verliess entrüstet den Raum, und knallte hinter sich die Türe zu. Peng!
Ungläubig blieb ich sitzen, unter anderem, weil ich keine Ahnung hatte, wie ich hier heraus finden sollte.
Einer der beiden stummen Zeugen beugte sich irgendwann leicht vor: Können jetzt gehen! Haben Pause!-

Ohne ein "Tschüss" suchte ich meinen Weg durch die Gänge und Fluren, am Empfang wurde ich noch einmal angehalten, und, weil ich mich nicht ausweisen konnte (Hier können Sie nicht einfach so heraus spazieren!") verwies ich auf Kommissar Krubelhubel, musste noch einmal eine halbe Ewigkeit warten, bis der Typ zurück kam, und mir wortlos die Tür per Knopfdruck frei gab.

Draussen war es eisig kalt, Schneematsch. Und ich - barfuss, bunt gescheckte Pyjamahose, Muskelshirt, Daunenjacke - sah eine U-Bahn-Station, hatte allerdings kein Geld dabei. Erst überlegte ich, ob ich besser zu Fuss gehen sollte, entschied mich allerdings dagegen.
Unten lief gerade die U6 ein, ich stieg ein, die Türen schlossen sich, und wurde prompt umstellt: Guten Morgen! Die Fahrausweise bitte!
NEIN!!!
Natürlich konnte ich mich weder ausweisen, noch konnte ich 60€ zahlen. Diese beiden zahnlosen Hackfressen baten mich, mit ihnen auszusteigen, mussten dann die Polizei rufen; über meine Geschichte lachten die nur: JaJa, und meine Oma ist Chinesin!
Irgendwann kam eine Polizeistreife, um uns hatte sich inzwischen eine Glotzergruppe gebildet, ein altes Weib fing tatsächlich an, mich zu beschimpfen. Sie krächzte: Sie sollten sich schämen! Früher wäre das nicht passiert!
Um es kurz zu machen: Die Polizisten nahmen mich fest - zum 2ten Mal am selben Morgen! - wir stiegen die Stufen der Station hinauf, draussen vor dem Eingang stand quer geparkt mit Blaulicht ein Streifenwagen, ich wurde wieder mit Handfesseln hinten hinein geleitet, wir fuhren ganze 3 Minuten, wieder zum Abschnitt 13.
Der Pförtner am Empfang war genau derselbe, erkannte mich aber offensichtlich nicht wieder; einer der Bullen sagte zu ihm: Beförderungserschleichung!, ich wurde in ein Zimmer geleitet, dass genau so karg eingerichtet war wie das Kellerloch von vorhin.
Dieses Mal war ich alleine, sass auf dem Stuhl, die Hände immer noch in Fesseln, als irgendwann die befragende Mannschaft auftauchte: 2 stumme Zeugen in Uniform, die sich während des Verhörs im Hintergrund halten würden, die beiden Streifenpolizisten, die kurz und knapp einige Papiere übergaben, und eine Dame plus ein weiterer Herr in Zivil, die denen beim Verlassen dann noch mit ach so schalkhaftem Lachen ein "Viele Festnahmen!" wünschten, haha!-

Die Dame hatte einen bescheuert übertriebenen, rosafarbenen, ziemlich verschmierten Lippenstift aufgesetzt, nahm mir gegenüber Platz, öffnete ihre obersten Blusenknöpfe, bevor sie loslegte, während der Kerl wie gehabt unbeweglich hinter ihr stand:
-Name?
-Daniel Laumans.
- Können Sie sich ausweisen?
Nein, ich wollte ihr die bisherige Geschichte erklären, aber der Kerl beugte sich vorüber in meine Richtung: Herr Laumans, wenn Sie kooperieren geht es schneller!
Ich resignierte, verlangte aber, alles wahrheitsgemäss, wie ich es bis hierhin so krass alptraumhaft erlebt hatte, zu Protokoll zu geben, während die Frau einen der anwesenden Wächter hinaus schickte, meine Personalien zu überprüfen.
In ein Aufnahmegerät diktierend, nahm sie die von mir angegebenen Formalitäten auf, und bat mich dann, während sie das Teil vor mich auf dem Tisch platzierte, die ganze Geschichte noch einmal zu berichten. Als ich jedoch angeben wollte, wie das Drama in aller Herrgottsfrühe in und um meinem Bett begann, schaltete sie das Gerät kurz aus: Entschuldigung, hier geht es nur um Beförderunsgerschleichung. Geben Sie bitte ganz kurz an, warum sie ohne Geld in die Bahn gestiegen sind.
Das Gerät lief wieder, die Lampe schaltete auf Grün, Aufnahme.
Wieder wollte ich mit der ganzen Geschichte, wie sich sich wahrheitsgemäss zugetragen hatte, beginnen, wieder löschte sie am Gerät die letzten Zeilen, mich streng ermahnend: Ich werde es nicht noch einmal sagen: Sie sollen sagen, warum Sie ohne Geld in die Bahn gestiegen sind.
Das Gerät schaltete wieder auf Grün-Aufnahme, doch ich blieb wirklich sprachlos, schliesslich war es diese Geschichte, die ich zu Protokoll geben wollte, die dazu führte, dass ...
Es waren zwar nur wenige sprachlose Sekunden, die ich verwirrt nach Worten für das Wortlose suchte, da nahm sie das Gerät an sich, steckte es ein, blickte den einen diensthabenden stummen Zeugen an, nickte ihm kurz zu, und deutete mit einer Kopfbewegung auf mich:
Wir können auch anders! Abführen!-
Unsanft wurde ich von den beiden stummen Zeugen unter den Schultern vom Stuhl gerissen, und wie Vieh durch die weiten Flure getrieben, ab und an, wenn ich zur Orientierung nach rechts oder links schaute, fies gestossen, dass ich stolpern musste; ausserdem schmerzten meine nackten Füsse höllisch. Später sollte sich heraus stellen, dass es nicht die Eiseskälte war, sondern verdammt blutende Wunden, gleich an beiden Füssen. Vermutlich war ich in irgend etwas Scharfes oder Spitzes getreten, ohne es im Schnee gleich bemerkt zu haben.
Sie brachten mich in eine nackte Zelle, warfen mich kurzerhand auf den Betonboden, und, während sie die Türe verriegelten, noch höhnisch etwas faselten von Abschaum! und Kurzem Prozess.-
Trotzdem ich fror, hüpfte mein Herz vor Aufregung, sah mich um, aber ausser einigen wenigen Kritzeleien gab es nichts zu entdecken, kein Fenster, keine Möbel, ein defektes Neonlicht unerreichbar hoch, dass dauernd an und aus ging, was mich bald ernsthaft wahnsinnig zu machen drohte. Eine wahre Folterkammer!
Zum Heulen war mir zu Mute, so einsam, verlassen, und hilflos fühlte ich mich; doch ich konnte keine Tränen vergiessen, so aufgeregt, wie ich war, und blieb reglos auf dem Boden sitzen.
Mit meinem Leben abgeschlossen, dem Ende nah, zu allem bereit, malte ich in meinen verrückten Gedankenblitzen durch, zu was ich bereit wäre, sollte sich dieses absolut unfassbare, gigantische Missverstädnis sich nicht ganz schnell in Wohlwollen auflösen.
Gewalt? Die Türe war aus solidem Stahl, doppelt dick, einige kleine Kratzer liessen erkennen, dass das schon ganz andere versucht hatten, Geschichten und Schicksale, die niemals jemand wagte, zu erzählen und zu berichten.
Ich malte mir aus, wie ich jemand mit Gewalt überfallen würde, der die Türe öffnete, um zu flüchten, versuchte, meine gefesselten Hände über den Kopf nach vorne zu bringen, was jedoch überhaupt nicht gelang. Alle diese Pläne waren aussichtslos, denn wohin sollte ich flüchten, barfuss, in bunter Pyjamahose, wenn ich es denn überhaupt aus diesem Kerker schaffen sollte?
Ein einziger Trost blieb mir: Das die mich nicht vergessen würden, und irgendwann nach mir schauten. Oder doch nicht? Hatten die irgendwann Mittagspause, dann Schichtwechsel, vergassen eventuell die aktuellen Fälle, und ich würde vergessen hier unten verrecken ...?
Scheisse!
In solch wirren Gedanken umher irrend , hörte ich plötzlich, wie schnelle Schritte sich näherten, ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde, sich drehte, ein Riegel zur Seite geschoben wurde, die Türe aufgesperrt wurde, und ein neues Gesicht in Uniform mich kurz und knapp aufforderte: Mitkommen!
Mit einem schweren Herzenssäufer rappelte ich mich hoch, der Kerl sprach: Werde Ihnen die Fesseln abnehmen!, was er auch tatsächlich tat, dann zeigte er mit der Hand in eine Richtung: Gehen!, und ging hinter mir her; nicht weit, vorbei an einigen geschlossenen Türen, es roch wie überall in Ämtern nach Kaffee und Akten. Irgendwo sagte er: Hier!. öffnete mir eine Türe, und schob mich hinein, auffordernd: Platz nehmen!
Vor einem Schreibtisch stand ein gewöhnlicher Holzstuhl, hinter mir hörte ich, wie die Türe geschlossen wurde; auf dem Schreibtisch ein altes, fast antikes Scheibentelefon, ein leeres Marmeladen- oder Gurkenglas mit ein paar Stiften, und ein rosafarbener, schmaler Aktenordner.
Schräg vor dem Schreibtisch - oder von mir aus gesehen davor, weil ich ja eigentlich dahinter sass - ging eine weitere Türe zu einem Nebenzimmer oder so auf, und es kam wieder ein neues Gesicht, eine wichtige Person, in Zivil, nahm auf seinem mit Leder gepolstertem Sessel platz, nahm die rosafarbene Akte zur Hand, öffnete sie, überflog sie aufmerksam, sich vor's Gesicht haltend, legte sie wieder sauber vor sich auf den Tisch, schaute mich lange und durchdringend an, und sagte dann ohne Umschweife: Sie können jetzt gehen!-

Ich ging: Im Flur sah ich meine eigenen Blutschmieren auf dem Boden. Alles schmerzte.
Am Ausgang ein neuer Pförtner, der dieses Mal mich sofort durch winkte, gelangweilt, ohne ein Wort.
Ich ging nach Hause, barfuss, blutend, schmerzend, durch Schnee und Eis; Ihr kennt den Weg: Vom Wedding, Perleberger Strasse, Alt-Moabit, nach Hause. Die Passanten nahmen mich überhaupt nicht war, zu gewöhnlich musste der Anblick eines barfüssigen in der winterlichen Kälte sein.
Da ich keinen Hausschlüssel dabei hatte, klingelte ich überall im Hause, jemand betätigte den Öffner für die Haustüre. Meine eigene Wohnungstüre im Hinterhaus, 2te Etage, war aufgebrochen, aber mit einem leuchtend roten Band gesichert: Tatort.
Auf dem Boden vor der Türe lag ein kleines Päckchen, von dem ich dachte, es seien eventuell meine Schlüssel, irgendetwas, was die Bullen beim gewaltsamen Aufbrechen meiner Türe zurück gelassen hatten, damit ich es benutzen möge. Zitternd öffnete ich die Schatulle. Sie enthielt - die Knochen von dem Bären, den ich Dir hiermit aufgebunden habe. O Mann!

Dienstag, 18. April 2017

Clavierblumenblüte

Sie blüht nur alle 777 Jahre, diese Clavierblume. Diese ist keine irdische Blume, sondern eine phantastische, welche vermutlich aus dem Universum mittels Langwelle über den Äther angeschwemmt wurde, und sehr, sehr selten ist.

Hier ihr Prachtblütenbestand:



Montag, 17. April 2017

Reiseverhalten

Bestimmte Umgangsformen während des Reisens sollte man und frau sich vorher bereits übend eingeprägt haben, damit es unterwegs keine bösen Überraschungen gibt.

Ein immer wieder diskutiertes Thema ist die Begegnung mit Außerirdischen, Ausländern, oder außerirdischen Ausländern in fremden Ländern. Die Ausländer die haben sich inzwischen wirklich überall niedergelassen!
Da wir meist in friedlicher Absicht kommen, gibt es einen universellen Verhaltenskodex, den ich über Ostern in Berliner Kiezen eingeübt habe, um das Verhalten an Eingeborenen zu testen:

In einem bekannten altaufsässigem Kiez näherte ich mich typischen Vertretern der einheimischen Bevölkerung. Da böse Menschen nicht singen, entschied ich mich dafür, laut das "Horst-Wessel-Lied" zu trällern, um meine friedlichen Absichten zu signalisieren.
An einem kleinem Platz, wo sich einige der Berliner Ureinwohner versammelt hatten, wurde ich daraufhin sofort beobachtet, das heißt, es kam zu einem Sichtkontakt.
Ich blieb also stehen, erhob meine rechte Hand im rechten Winkel, um zu signalisieren, dass ich ohne Waffen kam. Mit der linken warf ich meine Waffel auf den Boden, um jede mögliche Bedrohung zu vermeiden.
Da die Leute mich stumm anschauten, konnte ich wagen, mich ihnen langsam und vorsichtig zu nähern.
In gebührendem Abstand blieb ich stehen, verbeugte mich leicht, lächelte, und nahm meinen Hut zum Gruße ab.
Jemand aus der Gruppe rief etwas in seiner Sprache, und alle lachten - damit konnte ich ihr Revier passieren, verteilte noch ein paar bunte Glasperlen, und ging langsam weiter, indem ich wieder fröhliche Lieder anstimmte.
So geht das!

Berliner Bilder 17

Wurzelwerke
Am Ufer des faulen Wassers sprießt neues Leben, hüben wie drüben. Ist es nicht eine kleine Armee von Wurzelzwergen, die sich hier ans Tageslicht drängt?

Sonntag, 16. April 2017

UpTheApp

Eine Revolution des Reisens: Die UpTheApp für Reisende, denen das Reisen auf den Nerv geht!
Wenn das Bachtal schier nicht enden möchte: Laden Sie doch Wüstensandidylle herunter!
Falls das Vögelgezwitscher stört: Laden Sie doch Kampfflieger der Bundeswehr herunter!

Alles, was Sie sich selber basteln müssen, ist ein Ganz-Körper-Helm aus Papier - den Rest erledigen wir!

Jetzt herunter laden : UpTheApp

Mittels modernster Technik und Ihres Ei's sorgen wir für abwechslungsreiche, spannende Kulissen - die langweiliges Wandern in der Natur vergessen lassen. Jetzt auch InterAktiv!

Also: UpTheApp!

Berliner Bilder 16

Welten
Einem aufmerksamen Beobachter bieten sich an manchen, dazu recht besonders auserkorenen Punkten der Stadt Orte, wo die Welten aufeinander treffen, sich begegnen, und dennoch für sich alleine existieren.

Samstag, 15. April 2017

Berliner Bilder 15

Wasserwege
Wer im Berliner Boden gräbt, stösst bald auf Wasser, denn Wasser ist die Lebensader dieser Stadt, und schlängelt sich auch oberirdisch deutlich sichtbar durch die vielen Viertel und Kieze, gesäumt von Trauerweiden und Freudenhäusern.

Freitag, 14. April 2017

Berliner Bilder 14

Versteckte Götter
Götter haben es nicht nötig, sich den Menschen aufzudrängen. Sie verstecken sich gerne an typischen Orten und schattigen Plätzen, wo sie von einsichtigen Bewunderern entdeckt werden können. Unverhofft kann es so zu bereichernden Begegnungen kommen.

Donnerstag, 13. April 2017

Meine heilig-muntere Harmonika

Die Geister unserer Ahnen staunen nicht schlecht über die frohlockenden Töne, die meine neue Muntere Monika in die Ewigkeit entsendet:


Gerade Heute arbeite ich sehr hart und von den Himmeln huldvollst inspiriert an einer völlig neuartigen, nie da gewesenen, gewaltigen 1-stimmigen Tanzfuge.
Diese greift alte Mythen von Verletzlichkeiten und Überwindlichkeiten, von heißer Liebe und falschem Spiel auf, ist voller großer Ausdauer und süßer Hoffnung, und reicht nicht nur musikalisch weit in die Zukunft hinein.
Mit verlockenden Melodien und verzückenden Rhythmen kommt sie auch ohne Noten und Papier aus, indem die Vibrationen unmittelbar Herz&Hirn erregen.

Darum: Jetzt kaufen, nur solange der Vorrat reicht!

FUGE

 

nur 997€ Erstverkaufsgebühr
zzgl. 48 Monatsraten zu je 397€68

Kaufen! Nur noch 1 Exemplar vorrätig