Freitag, 21. April 2017

Epithalam - Ein Hochzeitslied



(Einige verspätete Glückwunschworte für
Wilfried und Friederike)

...ich weiss, ich weiss, es ist inzwischen sehr viel-viel zu spät, um Euch zu Eurer Güldenen noch aktuell zu kondolieren ... äh ... glückbewünschen zu dürfen.

Ein unglaubliches Ereignis geschah mit mir, vor Schreckstarre wie gelähmt die ganze vergangene Zeit inne zu halten; erst jetzt gelangt mein Schreiben endlich zu Euch, völlig ausser der Zeit, samt meiner Wünsche des Glücks für Euch.---

Also, just an jenem Tage, da ihr Beide golden Euren Höchsten feiertet, begab es sich, dass ich an Eurem Glücke innerlich teilnehmend einige Zeilen des Bekundens verfassen und versenden wollte, sie auch bereits mit Tinte auf's Papier skizziert hatte, um mich in einer Schaffenspause mit diesem Skizzenblatte an die frische, eiseskalte Luft zu begeben, die an jenem Tage unsere Stadt durchwebte.

Hände und den Zettel in den Taschen vergraben, wollte ich eigentlich nur eine kurze Runde durch den vereisten Tiergarten wandern, um eventuell in einem versteckten Kaffeehaus ein paar frische Notizen dazu überdenken.

Es war ein bitterkalter Tag, doch nach etlichen Wochen des winterlichen Graudunkelseins schien zum ersten Mal im neuen Jahr die Sonne.

In Berlin mit seiner verrückten Menschenmasse hat so ein simples Naturereignis ungeahnte Folgen: Während wegen der frostig reinen Luft ungewohnt wenige Menschen den gefährlichen Spaziergang über die glatten Weiher und Wege des Grossen Tiergartens dick verpackt in Pelze, Mützen, Leder, und Mäntel wagten, und sogar einige wenig beeindruckbare, unerschrockene Jogger eher leichtfüssig beschuht ihre Freude daran zu haben schienen, über die blanken Eisflächen zu schliddern, wo ich selber vorsichtig genug jeden Tritt genauestens und sicher zu setzen versuchte, und doch einige Male ausrutschte - und war damit nicht der Einzige, der unsanft die Perspektive wechselte.

Ein anderer kam ungesund schnell mit seinem Fahr angeradelt, klingelte wie der Teufel, rief noch ungestüm "Platz da!" - und rutschte dann krachend in den Graben, wo wir ihm unverletzt die Hände in die eisige Wirklichkeit reichten, ihn wieder aufrichteten, den nun etwas Kleingeläuterten, der sein Rad zur Stütze schob, und seine Wege beschämt durch den Wald von dannen zog.

Auf einer verschneiten Lichtung sang und tanzte eine Gruppe junger Mädchen ihren frostigen Reigen, bestaunt von dazugehörigem staunenden Mannsvolk, die klatschten, und sich freuten.

Den Vogel schoss jedenfalls jener Geselle ab, der die ersten zaghaften Sonnenstrahlen irrtümlich als den lang ersehnten Hochsommer deutete, sich daher aller vermeintlich unnützen Pullover und Schals entledigt hatte, und so bestaunt wie bewundert tatsächlich ohne Furcht vor Frostbeulen sich in kurzen Hosen und leichter Bekleidung es wagte, sich der flanierenden Öffentlichkeit zu zeigen.
Zwar liess er sich sein Bibbern und Zittern aus Stolz und Überzeugung wohl nicht anmerken, doch ging er zielstrebig seinen Weg - wohl in Richtung seiner warmen Wohnung, um seinen Irrtum noch einmal zu überdenken.---

Vorsichtig und bedächtig vorwärts fühlend, ging ich weiter meine Runde, und passierte endlich jene Waldwiese, wo sich vor einigen Monden Obdachlose vieler Länder ihr Dorf aus Zelten, selbst gebastelten Vorratskammern, und roh gezimmerten Unterständen gegründet hatten.

In der gespenstischen Stille eines kalten Wintertages zeigte sich dort nur zaghaftes Treiben, einige Gaskocher und amtlich verbotene Feuerstellen (Grillen ist untersagt!) zeugten von unterkühlten, dick verpackten Menschen, deren Hände jenen Zaubertrank zubereiteten, der Seele und Körper und Geist verlorenes Leben einhauchte, und vor dem schändlichen Erfrieren bewahrte: Tee mit oder ohne "Schuss", handelsübliche Beutel, oder Blätter der kargen Büsche ringsumher bildeten Grundbestand der kargen Suppe.

Ich kreuzte die Siedlung, bemerkte unter einigen aufgespannten Plastikfolien und Pappe und Müll sich leise, zaghaft sich regendes Leben.
An einem kleinen Reisigfeuer starrte ein älterer Herr in die Flammen; zu genau ihm gesellte ich mich, grüsste, doch antwortete er nicht, keine noch so winzige Bewegung zeugte davon, dass er mich überhaupt bemerkte.
Jedenfalls rieb ich meine klammen Finger über den züngelnden Flammen, und liess mich dazu in die Hocke nieder.

Nachdem ich allerdings auf verschiedenen Sprachen vergebens versucht hatte, mich nach dem Wohlbefinden meines Gegenübers zu erkundigen, und dieser Herr sich schliesslich wortlos und blicklos sein Gebräu in eine Konservenbüchse füllte, schaute ich mich schliesslich nach anderen, vielleicht auskunftsfreudigeren Gesprächspartnern um.

Etwas abseits der meisten Zelte und selbst gebauten Verschläge stand ein herausragendes Zelt, aus braunem, festen Tuch, dass durch Höhe, Bauart, Stil, und Material die anderen Gebilde überragte.
Dorthin begab ich mich.
Da seine "Eingangstüren", oder besser: Vorhänge - lose flatterten, und einen Spalt ins Innere freiliessen, versuchte ich neugierig, aber mit allem gebotenen Respekt, einen Blick zu erhaschen, zumal niemand sonst im Lager sich für ein Gespräch empfänglich zeigte - klar, bei diesen Minus-Temperaturen hüllt und mümmelt sich jeder und jede in so viele Decken und Zeitungen und Moos wie möglich ein, um nicht zu erfrieren: Eine ernste Gefahr.

Ich erschrak, als aus der Jurte jemand rief: "Kukuk - Krächzkrak - Iaaa!", und mit diesem Kinderruf gleichsam die Luft vor mir zerteilte.

Als ich mich nun im Lager umschaute, war noch immer keine besondere Regung zu erkennen, aber es ertönte wieder der seltsame Ruf:
"Kukuk - Krächzkrak - Iaaa!"---

Mit einem Seufzer des Mutes schob ich den Vorhang zur Seite, um zu erkennen, ob das ein Kind sei, das da immer rief: "Kukuk - Krächzkrak - Iaaa!"

Vor dem Eingang war ein weiterer Vorhang gespannt, der so ähnlich aussah wie schwerer Brokat.
"Kukuk - Krächzkrak - Iaaa!"---
An diesem vorbei schob ich mich vorsichtig ins Innere, natürlich nicht, ohne meine Stiefel abgetreten zu ahben, wie es sich gehört.

Drinnen verschlang mich sofort eine diffuse Dämmerung; nachdem sich meine Augen daran gewöhnt hatten, staunte ich nicht schlecht: Eine Lagerstatt entlang der rechten Wand, einige schwere Decken und Teppiche, sauber gefaltet und hergerichtet; niemand schien dort zu ruhen.
Gegenüber des Eingangs erkannte ich eine prächtige Kommode; zwischen dem "Bett" und der Kommode war noch eine stabil wirkende Holztruhe eingepasst.
Auf der Truhe lächelte mich mit seiner frechen Fratze ein Totenschädel an; Puh!, dachte ich, und machte ich.
Nun schien es so, als schimmerte etwas aus den leeren Augenhöhlen, ein fahles Licht, dass sich im ansonsten geräumigen Zelt verbreitete.
Ja, es war einigermassen geräumig, zumindest etwas grösser, als es von Aussen überhaupt den Anschein gemacht hatte.

Es raschelte, und es klang wie das Rasseln einer Eisenkette, und ich sah auf einem ziemlich hohen Ständer oder Kletterbaum zu meiner Linken einen - Papagei! -, der sich dort oben über meinem Kopf unruhig regte, und seine Federn putzte.

"Krächzkrak, da bist Du!", rief er mir zu. Zuerst war ich erschrocken, aber nun war ich wirklich verwirrt; doch er sah mich mit geneigtem Köpfchen an, und wiederholte: "Krächzkrak, Du bist da!"

Ein sprechender Papagei! Mir wurde in diesem Moment bewusst, dass es in dieser Wohnung wohlig warm war, und ich lüftete meinen Wintermantel.
Ich war auf einen sprechenden Papagei hereingefallen!
Nun, da ich annahm, es gehöre sich so, grüsste ich ihn: "Hallo, gefiederter Freund!"

Er scharrte dabei beschäftigt mit seinen Krallen an der Kette, als wolle er sich davon befreien. Doch wieviel erstaunte ich, als er mich wieder grüsste: "Da bist Du! Ich habe Dich erwartet. Sei mein Gast, und mach es Dir bequem auf den Kissen", wobei er mit seinem Schnabel in Richtung des "Bettes" deutete.

Kaum hatte ich es mir bequem gemacht, denn ich war durchaus geneigt, dieses Abenteuer ein Weilchen mir zu Gemüte zu führen, schob jemand von Aussen den schweren Vorhang zur Seite. Es war derselbe Mann, der draussen so wortlos am Feuer gesessen hatte; ich sprang auf, doch bedeutete er mir mit einem freundlichen Wink, zu bleiben. Auf den flauschigen Teppich zu meinen Füssen legte er ein Holzbrett mit höchst unwirklichen Schnitzereien und Ornamenten, die ich in ihrer vielgestaltigen Kunst nicht annähernd mit Worten beschreiben könnte, so aussergewöhnlich waren sie in Form und Detail, so einladend, und so extrem beglückend beim genauen Betrachten.
Darauf stellte er eine dampfende Tasse seines Gebräus, und verliess uns so wortlos, wie er kam, nicht ohne den Ausgang sorgsam zu drapieren, damit kein kalter Hauch uns berühre, und unser Stelldichein störe.
Ich war also eindeutig Gast, und staunte über alle Massen, und roch an meinem Gebräu, welches verlockend nach frischen Kräutern roch und dampfte. Überhaupt wurde mir bewusst, wie angenehm es hier duftete - ein sinnlicher, nicht übertriebener Duft, den ich noch nirgends gerochen hatte, wenn ich so sagen darf (schliesslich bin ich weit umher gereist).
"Krächzkrak, Freund, fühle Dich wohl!"
Der angenehme, würzige Duft, die sanfte Dämmerung, und die wohlige Wärme halfen mir, ich atmete tief ein, und entspannte: Die Dinge sind, wie sie sind.---

Doch damit nicht genug des aller Wirklichkeit zum Trotz dem Fremden spottenden Spuks! - Während mein neuer, grüngelbrot gefiederter Freund sich fein geschäftig heraus putzte, und mich dabei an und ab mit einem flüchtigen Augenblick bedachte, erklang wie von Geisterhand gespielt eine kleine Laute, die ich bisher oben auf der Kommode gar nicht wahr genommen hatte. Die Laute erklang sehr leise, obwohl niemand zupfte, und doch meinte ich im Schatten ihre vibrierenden Saiten erkennen zu können.
Ich beugte mich über mein Getränk, während ich nochmals versuchte, die fremden geschnitzten Zeichen des Brettes in irgendein mir bekanntes Muster einzupassen, gab es aber vergebens nach einer Weile auf, und liess diese komplett unwirkliche Stimmung einfach wirken.
Die Töne konnte ich ebenfalls keiner mir bekannten Tonart zuordnen - und doch klangen sie so sehr vertraut und innig, dass ich meinte, sie irgendwo in fernen Kindheitstagen verorten zu können.

Ihre Melodiebögen schienen derweil unterstützt von einzelnen Harfentupfern, was ihre Wirkung ungemein entfachte; rings um mich jedoch konnte ich nirgends eine Harfe erspähen. Da der Klang sich wie die übrige Stimmung restlos und äusserst angenehm um mich herum verteilte, dachte ich schliesslich nicht weiter über ihren Ursprung nach.

Jedenfalls war die Tonart keiner der bekannten 72 Ragas des Melakarta entnommen, noch ein alter, arabischer Maquam, kein griechischer oder mozarabischer oder byzantinischer Kirchenton, noch eine deren mittelalterlichen Transpositionen, keine Pentatonik aus fernsten Urzeiten, keine Heptatonik, keine fernöstliche Weise, keine schamanistische Magie oder mir bekannten Ritus entnommen und entlehnt, nichts der Dinge, die ich lange, lange studiert hatte.

Auch der Rythmus war nicht einfach zu fassen, obwohl er eigentlich eingängig war, und doch so schwer zu bändigen: Er schien geradezu nach einem mir geistig überlegenen Modus oder höherem Zyklus zu verlaufen, und war doch nicht fremd, im Gegenteil: Puls und Atem und Herzschlag schlugen mit dem All in dieser Wirklichkeit Eins, und es erfüllte mich von Innen.
Ich schwieg noch eine Zeit, lauschte, während ich an meinem wunderbaren Tee nippte.---

Mit den verwelkenden Momenten füllte sich mein Herz mit erstarkendem Vertrauen, erst ungewohnt, man muss es zulassen, doch füllte es mich nach und nach mit solch berstender Zuversicht und Glauben und nimmer verzagender Energie aus, dass ich nicht anders konnte, als meinem neuen, grüngelbroten Freund meine darüber unbeschreibliche Freude mitzuteilen, da er ja offenbar nicht nur sprechen, sondern auch zu Denken vermochte.

Unglaublicherweise erriet er meine Gedanken, und nahm mir quasi die fehlenden Worte aus dem Mund: "Ich weiss, Du fühlst Dich wohl. So soll es sein, mein junger Menschenfreund.Denn gar selten verirrt sich ein Menschlein in unseren feinen Ort."

"Wie ... Woher ... Wer bist Du? Wer seid Ihr geheimnisvolles Volk?", stammelte ich verlegen.

"Hüte Deine Zunge, mein Menschenfreund, und stelle nicht so viele unnütze Fragen. Du befindest Dich an einem Ort der Weisheit und des Wissens. Wir sind Reisende, wir ziehen durch Zeit und Raum. Arm sind wir an Waren, doch reich an Wissen. Undenkbare Äonen beobachten wir die Welt und ihr Geschehen.
Hüte Deine Zunge, wähle Deine Worte wohl - denn Du bist geladen, eine Antwort auf eine Dich bedrückende Frage durch meinen Mund ..." - er räusperte sich - "... äh ... Schnabel zu erhalten."
Mit letzterem zupfte er sich abermals das Gefieder unter seinen Schwingen zurecht, indes ich glaubte, verstanden zu haben, um welche Wahrheit es hier ging.
"Ja, genau..." - wieder erriet er meine Gedanken, und schaute mich sehr ernst seitlich aus einem Auge an, dass, als ich seinem Blick begegnete, so uralt, unbeschreiblich alt erschien.---

Tja, eine Frage, die mich bedrückt hätte? Ich überlegte hin und her, während mein Freund auf seinen Füssen ebenfalls hin-und-her hampelte, wobei er mir wohl meinend riet: "Du hast Zeit."

Mir war angesichts dieser unwirklichen Zustände und Begegnungen bewusst, dass ich ehrlich sein sollte, und offenbar eine mich beschäftigende oder belästigende Sache auf ewig klären könnte.
Wann wird die Welt vergehen?
Wie lange wird die Menschheit noch sein?
Gibt es Leben nach dem Tode?
Gibt es einen Gott?
Oder wie wäre es mit den Lottozahlen der kommenden Woche?
Etliche anstrengende Fragen zogen vorüber; ich nahm sie mit meinem geistigen Auge an, betrachtete sie von allen Seiten, schob sie zur Seite, und zog weiter.

Plötzlich erinnerte ich mich an den Zettel in meiner Tasche, und den eigentlichen Grund meines Spazierganges, um meine Glückwunschworte noch einmal zu überdenken.
Mit ruhiger, aber entschlossener Stimme sprach ich meine Frage in den Raum: "Ist wahre Liebe das Geheimnis der Ewigkeit?"

"Wohl hast Du Deine Worte bedacht, Junge", lobte mich der bunte Vogel. "Lausche und merke meinen Spruch als Antwort Deiner Frage, die nicht nur Dich bewegt."

Es schien, als wolle er sich feierlich aufrichten, und der Situation eine besondere Bedeutung mit stolzer Haltung verleihen, während die Musik inzwischen verklang und verhallte.
Bange Momente erwartete ich gespannt die Antwort des Orakels, dem ich so unverhofft begegnet war.

"Nun denn, es kann losgehen, wir sind bereit", sprach er von sich und den Seinen, und er legte endlich los:
"Wie so manches vergeht,
 Wo wahre Liebe bleibt,
 über Irrungen und Wirrungen hinweg
 bis zum Ende aller Zeit.
Seelen sind über Urgründe hinweg ..." - - von draussen ertönte schrill und grell ein ohrenbeteubender Lärm, als würde ein UFO landen, und übertönte und zerstörte brutal die Rede meines Freundes, dann hob ein ebenso hysterisches, schrilles, grelles Lachen an, welches durch Mark und Bein drang, und durch ein Megaphon verzerrt war eine Frauenstimme zu vernehmen:
"Achtung! Hier spricht das Ordnungsamt! Dieses Lager wird geräumt! Sie haben 10 Minuten zur Räumung!"
Wieder lachte die Frauenstimme ihr widerliches Lachen, das auch ohne Verstärker alle Menschen guten Glaubens unzweifelhaft von der Schlechtigkeit der Welt überzeugen musste.

Der Papagei sprach nicht weiter, sondern flatterte aufgeregt die kurze Spanne umher, die die Kette ihm bot, wobei einzelne Federn umher schwirrten.

Ich winkte ihm dankbar zu, ermutigend, entschuldigend, wollte mich erkenntlich zeigen für sein "Geheimnis aller Geheimnisse", doch gelang es mir trotz mehrfacher Bemühungen nicht mehr, einen sinnlichen Kontakt zu dem grüngelbroten Wesen herzustellen - wo doch die Rede noch gar nicht beendet war!

"Kukuk - Krächzkrak - Iaaa!" widerholte er heiser immer wieder, und schien mich vor Aufregung nicht weiter zu beachten. Schande! Ich war doch so kurz davor, aus seinem Schnabel die Lösung aller Rätsel zu erlangen, sozusagen die Weltformel!---

Ich schob die Vorhänge am Ausgang beiseite, und trat gebeugt nach draussen, wo ich erst einmal von Sonnenstrahlen und eiskalter, klarer Luft geblendet wurde.

Vor mir auf dem dreckigen Schnee und fest getrampelten Eis und Erde erkannte ich schwere, schwarze Stiefel, dazu eine Uniform, eine Mütze, eine Person von Wichtigkeit - ein Polizist baute sich vor mir auf, und brüllte: "Po-Polizei" D-Die A-Ausweise ma bi-bidde!"
Ich kramte verlegen in meinen Taschen, konnte aber nur den Zettel mit den Grüssen finden. Diesen riss der Mann mir aus der Hand, und befahl: "Wa-Warten!", während er durch den Schneematsch zu einem Einsatzwagen schlurfte, wo er inmitten einer Menge Kollegen an einem Funkgerät hantierte.
Auf einmal war hier hektisches Treiben, überall sammelten sich unrasierte, hungernde Gestalten in Fetzen und zusammen geflickten Klamotten ihre Siebensachen, während die Tante vom Ordnungsamt, wohl die Einsatzleiterin, weiterhin ihr überflüssiges, schrilles, nervendes Lachen aufführte. Die Polizisten waren indes anscheinend damit beschäftigt, alle Personalien aufzunehmen, und die zahlenmässig überlegenen Ordnungsbeamten zerstörten mit finsteren Mienen die illegal errichteten Unterkünfte und Behausungen.

Noch während dieses alles geschah, trat der Popolizist wieder an mich heran, reichte mir den zerknüllten Zettel, und sprach: "A-Alles klar. Sind frei!"---

Was war das? Nach meinem Namen wurde gar nicht gefragt; auf dem Zettel standen nur meine gekritzelten Glückwunschworte. Was hatte er damit wohl über Funk ermittelt?
Ich wollte noch protestieren, denn es handelte sich hier um arme Menschen, und um ihre Wohnungen; Wohin sollten sie denn ziehen? Aber der Popolizist befahl nur verächtlich: "Und ab!"
Aus der braunen Jurte meinte ich wie aus einer fernen Welt den Papagei zu hören: "Krächzkrak - Iaaa!"
Ich verliess entmutigt dieses Durcheinander, und zog eilig zu meiner Wohnung. Dort sammelte sich ein riesiger Stapel Post und Briefe; auch bemerkte ich eine feine Staubschicht auf den von der Sonne liebkosten Fensterbänken. Die Blumen waren allesamt verwelkt und verloren. Wie konnte das geschehen sein?
Kalt war es inzwischen überhaupt nicht mehr.

Ich klopfte gegenüber bei meinen netten spanischen Nachbarinnen, doch es öffnete nach einer Weile eine unbekannte, zahnlose, nach billigem Fusel stinkende Alte, die, als sie irgendwann genervt die Türe ins Schloss warf, das selbe irre Lachen lachte, dass vorhin auch die Ordnungsamtstante so schrecklich aufgeführt hatte.
Es stellte sich heraus, dass in der braunen Jurte nicht nur die tatsächlich gefühlten Minuten und Stunden vergangen waren, sondern wahrlich Wochen und Monate, geheimnisvoll und mysteriös.
Für meine derart verspäteten Glückwunschworte entschuldige ich mich, und hoffe weiterhin auf Eure nächste Hochzeit in jüngst möglicher Gesundheit und ewig treuer Liebe.

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